Jedes Mal aufs Neue bin ich begeistert von der indischen Dichtung, die so viel Wahrheit enthält. Ein bisschen Siddhartha steckt in uns allen: der Mensch, der strebt: nach Sinn, nach den Fragen der Tiefe, nach ihren Antworten. Und wie Goethe es treffend ausdrückt: „Es irrt der Mensch so lang er strebt.“
// Irren
So irrt Siddhartha – so irren wir – und Siddhartha stellt die rhetorische Frage an seinem Freund, dass es vielleicht so sei, „daß du vor Suchen nicht zum Finden kommst?“ Genauso kann man natürlich vor lauter Ablenkung, dass Irren vernachlässigen.
Die Suche nach den Fragen der Tiefe ist eine sehr persönliche, auch wenn man sie teils gemeinsam begehen kann. Siddhartha meint: „Weisheit ist nicht mittelbar. Weisheit, welcher ein Weiser mitzuteilen versucht, klingt immer wie Narrheit.“ Und: „Wissen kann man mitteilen, Weisheit aber nicht.“ Man jemand den Weg andeuten, tragen müssen einen die eigenen Füße.
// Streben
Es ist faszinierend, wo und wie Siddhartha lernt. Statt sich über scheinbare Hindernisse zu ärgern und sich damit selbst zu quälen, sieht er sie vielmehr als Teil des Weges und Teil des Ziels. Und vielleicht hätte Siddhartha Mark Twain zugestimmt, als er meinte: „I have never let my schooling interfere with my education.“ Das Leben als Ganzes lehrt.
Wir streben nach dem warum wir leben; ein Streben, das uns so tief innewohnt und das einen erquicken lässt, in dem Moment, in dem man ein Quäntchen oder Tröpfchen Faszination vor sich und in sich wahrnimmt, und für einen kurzen Augenblick es ergriffen hat, bevor es einen aus den Händen rinnt – wohl aber seine Spuren hinterlässt.
// Haltbares
Dieses Streben bei gleichzeitigem Innehalten auf dem Weg führt zu reflektierter in sich geruhter Bewegung. Bedachte Schritte, die sich den Fragen der Tiefe annehmen – ohne von ihnen eingenommen zu werden – bewirken ein Innehalten bei Bewegung, welches eine zögernde, angenehme Weile hervorbringt. Durch diese tun sich faszinierende verborgene Spuren auf und lassen so einiges Haltbares erkennen.
Vielleicht ist dies Dichtung, vielleicht Wahrheit.