Habe im Human Resources Consulting Review ein Interview zur Zukunft der Arbeit gegeben:
Frage 1: Die Corona-Pandemie krempelt die Arbeitswelt gerade in vielen Belangen um. Wenn Du an die Zeit nach der Bewältigung der Gesundheitskrise, d.h. die „Post-Corona-Zeit“ denkst: Welche Chancen und welche Risiken siehst Du für die zukünftige Arbeitswelt?
Zurzeit reagiert die Arbeitswelt notgedrungen auf Corona. Viele Unternehmen sind eingeengt in einem Korsett der Entwicklungen und versuchen sich über Wasser zu halten. Das gesamte unternehmerische Können ist in diesen Zeiten gefragt.
Eine große Gefahr ist nun, dass Unternehmen für den Erhalt eines Status quo den Rückwärtsgang einlegen. Wir sehen – leider – dass einige Unternehmen weniger inklusiv, weniger divers, weniger nachhaltig denken, weil sie glauben, so wirtschaftlichen Erfolg sicherzustellen. Das ist ein Trugschluss. Der Blick zurück mag klarer sein als der Blick nach vorn. Er schaut aber auch auf ein veraltetes und regressives (Welt-)Bild.
Damit auch der Blick nach vorne klarer wird, müssen wir gemeinsam an einer Zukunft arbeiten: sie denken und in die Tat umsetzen. Statt einer passiven Reaktion bedarf es einer aktiven Gestaltung der Arbeitswelt. Statt eines langsamen digitalen Wandels brauchen wir eine proaktiv gesteuerte digitale Wende, wie ich es vor kurzem in einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung betonte. Dieses gilt auch für die Arbeitswelt.
Die Chance von Corona liegt also darin, dass die Pandemie uns eventuell aus einem Dornröschenschlaf wachrüttelt und somit ermöglicht, Arbeit gemeinsam neu zu denken.
Frage 2: Die Entwicklungen im Bereich Digitalisierung, konkret hinsichtlich der Automation von Tätigkeiten, hat das Thema bereits befeuert und die aktuelle Wirtschaftskrise gibt weiteren Auftrieb: das Bedingungslose Grundeinkommen, kurz BGE. Wie stehst Du zum BGE ganz generell? Welche Argumente in der Debatte überzeugen Dich und welche nicht?
Ich glaube nicht, wie es mancherorts gesagt wird, dass wir in Zukunft ohne Arbeit dastehen werden. Bisher hat uns jede technologische Erneuerung neue Arbeit eingebracht. Wir Menschen sind gut darin, Arbeit zu finden, zu schaffen. Gleichfalls entsteht mit der Künstlichen Intelligenz zum ersten Mal eine Basistechnologie, die starke kognitive Leistungen vollbringen kann. Wir sollten diese Entwicklungen also unbedingt dafür nutzen, uns zu fragen, welche Rolle Arbeit in unserem Leben haben soll und wie der Aushandlungsprozess um die Arbeit gestaltet werden soll. Sicher ist: Es wird dort automatisiert, wo modular trennbare Routinetätigkeiten günstiger von Maschinen als von Menschen durchgeführt werden können.
Zum BGE: Ich glaube, die Bezeichnung BGE ist kontraproduktiv. Erstens ist Einkommen in unserer Gesellschaft kognitiv an Leistung geknüpft und damit wird die Gleichung Einkommen für Nicht-Leistung aufgemacht. Zweitens ist selbst das bedingungslose Grundeinkommen nicht bedingungslos, sondern an gesellschaftliche Regeln geknüpft. Daher sollte eine neue Bezeichnung her.
Zu dem, was dahinter steht: Ein BGE würde die meisten sozialen Transferleistungen ersetzen. Das BGE ist nicht nur eine soziale Absicherung für Ärmere, die es brauchen, sondern eben auch für die Gutverdienenden. Es ist ein Anspruch auf einen bestimmten, regelmäßigen Geldbetrag.
Ein BGE würde das Machtverhältnis zwischen Angebot an und Nachfrage von Arbeit umdrehen. Die Krux liegt nun im Detail. Positiv ist, dass ein großer Teil an Bürokratie abgebaut werden könnte. Auch positiv finde ich, dass eine Entproblematisierung von Arbeitssuchenden stattfinden würde. Diese wären weniger sozial ausgrenzt und psychisch belastet. Wenn wir diesen Fokus auf Arbeitslosigkeit als Problem verlieren, würden gesellschaftliche Ressourcen frei, die zur Fort- und Weiterbildung, aber auch für die soziale Kohäsion genutzt werden können. Auch würden viele Menschen sich vielleicht für Tätigkeiten entscheiden, die nicht bezahlt, aber gesellschaftsdienlich sind.
Ich finde daher den Gedanken einer Grundsicherung charmant. Die zentrale Frage bleibt dabei, wie hoch diese ausfallen würde und wie glatt der Übergang zum zusätzlichen Gehalt ausfällt – denn Arbeit sollte sich natürlich (trotzdem) weiterhin lohnen.
Frage 3: “New Work” ist inzwischen als Wortmarke gefühlt überall angekommen und wird ständig strapaziert. Was sind für Dich persönlich die Grundpfeiler von “New Work” und welche Aspekte stiften fassbaren Mehrwert für Arbeitgeber und Arbeitnehmer jenseits gängiger Plattitüden?
Hinter „New Work“ steckt der Wunsch, Arbeit neu zu denken, und die Sehnsucht, Arbeit im gesellschaftlichen Gefüge besser zu integrieren und zu positionieren. Daher sind meines Erachtens Grundpfeiler, dass Arbeit spirituell, ökologisch und sozial gedacht wird – also eine Balance zwischen uns und uns selbst, uns und der Umwelt sowie uns und der Mitwelt geschaffen wird.
Ich denke, dass die Ausgestaltung von „New Work“ wiederum ganz unterschiedlich ausfällt. So entstehen an verschiedenen Orten Organisationen, die sich neu aufstellen: von zirkulären Hubs, sozialen Inkubatoren bis hin zu feministischen Ateliers. Gemein haben diese Organisationen, dass sie die Welt da draußen und die eigenen multiplen Identitäten nicht von ihrer Arbeit ausschließen, sich nicht vor der Komplexität des Menschseins verschließen. New Work beinhaltet damit auch New Living.
New Work zeigt außerdem, dass die Grenzen von dem, was Arbeit ist und was nicht Arbeit ist, verschwimmen. Gerade in der Corona-Krise haben wir gesehen, wie schnell neue Formen des Zusammenkommens geschaffen worden sind, und Projekte, Initiativen und Unternehmen entstanden sind, welche sich innovativ mit der Krise beschäftigen.
Frage 4: In den letzten Jahren hieß es vielerorts und oft: „Führung muss neu gedacht werden.“ Nun haben wir es mit einer Pandemie, Wirtschaftskrise, Digitalisierungsschub und Homeoffice in der Fläche zu tun. Wie genau muss man unter diesen Rahmenbedingungen Deiner Meinung nach Führung nun denken?
Die aktuelle Krise ist eine universelle Erfahrung, wie Leonhard Dobusch und ich in einem Artikel für MIT Sloan Management Review schreiben. Die Krise wie auch der Prozess der Digitalisierung bewirken, dass Führung via Technologie sowie Führung von Technologie weitergedacht werden muss.
Führung via Technologie bedeutet, dass Technologien verstärkt als Zwischenmedium wirken. Führungskräfte müssen also lernen, mit und durch sie zu kommunizieren. Gleichfalls ändert sich auch das Umfeld, in dem Führung erlebt wird. Das Homeoffice ist primär Home und sekundär Office. Das Private wird notgedrungen ins Berufliche eindringen. Führungskräfte müssen das respektieren. Auch müssen sie sich zurücknehmen, sodass das Berufliche das Private nicht verdrängt.
Führung von Technologie wiederum bedeutet, dass Technologien zentralere, aktivere Rollen einnehmen werden. Eine Künstliche Intelligenz muss also geführt werden können. Im Übrigen sind Manager nicht von der Transformation ausgeschlossen, wie die Koordination von Uber-Fahrer*innen durch KI zeigt. Im Grunde könnte man hier von programmierter Führung sprechen. Diejenigen, welche Programme schreiben und absegnen, praktizieren damit eine Führung zweiten Grades. Auch das wird zunehmen.
Frage 5: Die Demokratisierung des Wissens ist in aller Munde, Open Access setzt sich zunehmend durch und Experten sind nicht mehr nur Vertreter der universitären Elfenbeintürme, sondern zunehmend auch reflektierte Menschen aus der Praxis. Prinzipiell kann also jede und jeder einen Beitrag zur Beantwortung herausfordernder Fragestellungen leisten. Wo siehst Du Deinen persönlichen Beitrag in der Debatte um die Zukunft einer menschengerechten und zugleich wirtschaftlich tragfähigen Arbeitswelt?
Als Wissenschaftler hat man das Privileg, sich langfristig mit gesellschaftlichen Herausforderungen zu beschäftigen. Via Lehre, Forschung und Transfer gibt es viele Möglichkeiten, zu zentralen Debatten beizutragen. Persönlich tue ich dieses durch Lehrveranstaltungen mit Praxisbezug, Beiträge in Zeitschriften, Vorträge und Diskussionen, Interviews, Beiratsrollen und auch durch Grundlagenforschung.
Viele Wissenschaftler*innen gehen direkt in den Dialog mit der Gesellschaft. Wir müssen hierfür das selbst auferlegte Schweigegelübde brechen, auch wenn wir uns damit aus der Komfortzone hinausbewegen müssen.
Wir sollten allerdings nicht unterschätzen, dass ein Beitrag für die Gesellschaft nicht sofort in die Gesellschaft getragen werden muss, sondern Wissenschaft auch ein Gewächshaus für Ideen ist, in dem neue Gedanken behutsam diskutiert und gemeinsam weiterentwickelt werden.
Das Gespräch von Wissenschaft mit Gesellschaft ist also ein Balanceakt für jede*n einzelne*n wie auch für die Institutionen. Wir brauchen mehr Unterstützung und Möglichkeiten, den Diskurs voranzutreiben bei gleichzeitiger Wertschätzung für Grundlagenforschung. Das ist auch etwas, was wir am Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft versuchen: exzellente Forschung und gesellschaftliches Wirken unter ein Dach zu bekommen.